Es ist ein Thema, das immer mehr diskutiert wird. Doch Name, Aussehen und Alter eines Kandidaten können bei Bewerbungsprozessen eine größere Rolle spielen als gern von Unternehmen zugegeben wird. So passiert es oft, dass jüngere und vielleicht auch attraktivere Bewerber den Job bekommen für den jemand anderer mit mehr Erfahrung und größerer Qualifikation viel besser geeignet gewesen wäre. Die Vorauswahl von Kandidaten kann sicherlich auch ohne eine böse Absicht zu unterstellen, manchmal durch Informationen wie Nationalität, Alter und Aussehen beeinflusst werden. Dies geschieht dann leider zum Nachteil derjenigen Personen. Könnten anonyme Bewerbungsverfahren da Abhilfe schaffen?
Helfen anonyme Bewerbungsverfahren dabei den Bewerbungsprozess fairer zu gestalten?
Um diese Art von ungewollter Diskriminierung zu vermeiden kam man auf die Einführung von anonymen Bewerbungsverfahren. Diese sollen nur die Leistung und Eignung des jeweiligen Bewerbers berücksichtigen. Doch bei allen guten Vorsätzen- wie sinnvoll und praktikabel sind sie in der Berufswelt wirklich?
Ablauf eines anonymen Bewerbungsverfahrens
Anonyme Bewerbungsverfahren funktionieren so, dass im Prozess zunächst komplett auf personenbezogene Daten wie Name, Geburtsdatum, Familienstand, Herkunft, Geschlecht etc. verzichtet wird. Man füllt nur ein Formular aus, wo Abschlüsse, Qualifikationen, Motivation und die aktuelle Berufserfahrung angegeben werden. Dieser Schritt unterscheidet sich nicht von einem normalen Lebenslauf, außer dass auf Jahreszahlen verzichtet wird. Der erste Eindruck soll anonym und nur auf inhaltlichen Daten basieren.
Anschließend erfolgt die Einladung zum Vorstellungsgespräch. Nach diesem Schritt werden dann auch die konkreten Informationen zur Person nachgeliefert.
Varianten Bewerbungsprozess
Es gibt drei verschiedene Varianten wie der Prozess ablaufen kann:
- Anonymisierter Online-Bewerbungsbogen
- Vom Unternehmen vorgefertigtes Bewerbungsformular, die Bewerbende per E-Mail, Download oder Post erhalten und ausgefüllt zurücksenden
- Herkömmliche Bewerbung, die im Nachhinein anonymisiert wird (durch Schwärzen oder Übertragen von Daten)
Ziele des Bewerbungsverfahrens
Das Ziel des Verfahrens ist die Herstellung von Chancengleichheit im Bewerbungsprozess. Diskriminierung findet statistisch gesehen hauptsächlich in der ersten Bewerbungsphase statt, das heißt vor der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Es soll damit also eine faire Bewerbungskultur in Deutschland geschaffen werden.
Vorteile für die Bewerber
- Förderung der Chancengleichheit der Bewerber
- die Bewertung erfolgt nur anhand von Qualifikationen, die Arbeitgeber werden nicht
mehr bewusst- oder unbewusst von persönlichen Angaben beeinflusst - Schlüsselinformationen sind besser ersichtlich und können leichter miteinander verglichen werden (hohe Effizienz des Verfahrens)
- zielgenaue Abfrage von wichtigen Daten, die Personaler müssen sich nicht mehr durch Sammelsurium von Informationen kämpfen
- Förderung der Zusammenstellung von vielfältigen Teams, die nachweislich besser zusammenarbeiten und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens erhöhen
- Verhinderung von Vetternwirtschaft
- Qualität der Bewerbungen steigt nach Einführung eines anonymisierten Verfahrens, sogenannte „08/15-Bewerbungen“ bleiben aus
Nachteile für die Bewerber
- Verfahren eignet sich nicht für Berufseinsteiger, da diese auf Gestaltung und Hervorhebung ihrer Stärken angewiesen sind (sie haben weniger Qualifikationen aufgrund der mangelnden Erfahrung vorzuweisen)
- ungeeignet für Bewerbungen aus dem Kreativbereich oder bei der Besetzung von Führungspositionen (Details und individuelle Informationen werden dort zur Auswahl dringend benötigt)
- trotz Chancengleichheit bei der ersten Bewerbung kann nicht vor Diskriminierung im Vorstellungsgespräch geschützt werden (dort finden möglicherweise wieder äußerliche Merkmale Einfluss in die Entscheidung)
- nicht bei Jobausschreibungen mit geringer Bewerberzahl zu empfehlen, da keine ausreichende Vergleichbarkeit der Bewerbung gegeben ist
- Bewerbungen im Wissenschaftsbereich, wo es wichtig ist eine Publikationsliste zu erhalten, sind eher weniger für das Verfahren geeignet
- Kritiker sind der Auffassung, dass es nicht aussagekräftig wäre Kandidaten nur aufgrund von Leistung zu bewerten
Das anonyme, sowie das herkömmliche Verfahren, bieten also Vor-und Nachteile, die vorher abgewogen werden müssen.
Pilotprojekt in Deutschland
Ausgehend von den guten Erfahrungen in anderen Ländern (z.B. den USA) hat die unabhängige Antidiskriminierungsstelle des Bundes im November 2010 ein deutschlandweites Modellprojekt gestartet. Bekannte Unternehmen wie die Deutsche Post, Deutsche Telekom, L´Oréal, Mydays, Procter & Gamble, das Bundesfamilienministerium, die Bundesagentur für Arbeit in Nordrhein-Westfalen und die Stadtverwaltung von Celle haben dieses Verfahren bereits für je 12 Monate getestet. In diesem Pilotprojekt haben sie über 8.500 Bewerbungen anonymisiert eingesehen, 246 Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplätze wurden erfolgreich besetzt. Das Ergebnis der Antidiskriminierungsstelle zeigt, dass mit anonymen Bewerbungsverfahren tatsächlich Diskriminierung gemindert werden kann. Nun liegt es an den Unternehmen selbst, ob sie das Verfahren zukünftig in ihren Bewerbungsprozess implementieren wollen. Siemens zum Beispiel hat angekündigt, demnächst zumindest auf Bewerbungsfotos verzichten zu wollen. Unter diesem Link der Antidiskriminierungsstelle des Bundes haben Arbeitgeber die Möglichkeit sich über das Verfahren ausführlich zu informieren. In einigen Bereichen kann das anonyme Bewerbungsverfahren durchaus eine sinnvolle Ergänzung sein, in anderen bereits genannten, ist es nur bedingt praktikabel.
Neben neuen Möglichkeiten von Bewerbungsverfahren eignet sich auch die kontinuierliche Abfrage von Bewerbermeinungen nach dem Bewerbungsprozess und wie neue Mitarbeiter den Onboarding-Prozess empfunden haben dazu, Prozesse weiterzuentwickeln und fairer zu gestalten.
softgarden bietet dafür die Feedback-Solution an, die man auch als Stand-Alone Lösung nutzen kann, um seine Reputation als Unternehmen zu optimieren.