Wer über Recruiting redet, kommt um das Thema Fachkräftemangel nicht umhin. Doch so verbreitet der Begriff ist, so kontrovers wird er auch immer häufiger diskutiert. Zuletzt stellte eine ARD-Reportage das Phänomen gar ganz infrage und sprach vom „Märchen vom Fachkräftemangels“. Was ist nun wirklich dran und was tun Unternehmen dagegen? Wir geben einen Überblick zum Stand der Dinge.
Mitten im Sommerloch sorgte ausgerechnet ein Wirtschaftsthema für Schlagzeilen. Ingenieursmangel, Ärztemangel, zu wenig IT-Spezialisten: Alles gar nicht wahr. So lautet zumindest der Tenor der jüngst ausgestrahlten ARD-Reportage Der Arbeitsmarktreport. Hinter den Hilferufen von Unternehmen nach mehr gut qualifizierten Bewerbern stecke vor allem eines: eine Strategie von Lobbyverbänden in Wirtschaft und Politik, die von Lohndumping und Arbeitslosigkeit ablenken wolle.
Lassen wir die stilistische und inhaltliche Kritik an dem Film beiseite (Der Tagesspiegel hat dies treffend kommentiert) und konzentrieren uns auf die Fakten. Tatsächlich werfen die Autoren der Reportage einige wichtige und interessante Fragen auf, die sich näher zu betrachten lohnen.
1. Gibt es den Fachkräftemangel gar nicht?
Die These vom angeblichen Mythos des Fachkräftemangels klingt provokant, entpuppt sich bei näherer Betrachtung jedoch selbst als Mythos. Fakt ist: Viele Unternehmen in Deutschland haben derzeit Probleme, geeignete Mitarbeiter zu finden. Zu diesem Ergebnis kommt gerade erst wieder die Studie „Fachkräftemangel 2014“, die seit acht Jahren von der ManpowerGroup weltweit durchgeführt wird. Demnach klagen vier von zehn Unternehmen über einen Fachkräftemangel. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass somit sechs von zehn Unternehmen (noch) keinen akuten Mangel an qualifizierten Bewerbern sehen.
2. Welche Branchen sind vom Fachkräftemangel betroffen?
Arbeitsmarktexperten sind sich einig, dass das Ausmaß des Fachkräftemangels stark von der Art des Berufsfeldes und der Region abhängt, in der ein Unternehmen tätig ist. Laut der Fachkräfteengpassanalyse 2013 der Agentur für Arbeit fehlen neben Gesundheits- und Pflegeberufen vor allem in technischen Berufen talentierte Bewerber, insbesondere im Westen Deutschlands. Ähnlich sieht es das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. In seiner Engpassanalyse 2013 heißt es, dass vor allem in der Energie- und Elektrobranche sowie in den Bereichen Maschinen- und Fahrzeugtechnik Bewerber knapp werden.
3. Wir es in Zukunft verstärkt Fachkräftemangel geben?
In naher Zukunft geht in Deutschland die sogenannte Generation Babyboomer, also die geburtenstarken Jahrgänge, in den Ruhestand. Bis zum Jahr 2025 werden etwa 6,5 Millionen Fachkräfte ihren Arbeitsplatz verlassen. Zeitgleich werden immer weniger Kinder in Deutschland geboren. Man muss kein Rechengenie sein, um zu erkennen: Qualifizierter Nachwuchs wird alleine aus demografischen Gründen knapper werden. Das bekräftigt auch die Bundesagentur für Arbeit (BA). „Der Fachkräftemangel verschärft sich permanent“, warnt der BA-Vorsitzende Frank-Jürgen Weise bereits seit längerem.
4. Was tun Unternehmen gegen Fachkräftemangel?
Obwohl sich viele Arbeitgeber darüber im Klaren sind, dass sie schwieriger geeignete Bewerber finden, unternehmen immer noch überraschend wenige etwas aktiv dagegen. Laut der Studie „Fachkräftemangel 2014“ verharren 44 Prozent der Unternehmen, die Fachkräftemangel beklagen, tatenlos. Immerhin eine knappe Mehrheit von 56 Prozent hat bereits Strategien dagegen entwickelt. Viele reagieren laut der Befragung, indem sie flexiblere Jobmodelle einführen oder auch weniger geeignete Kandidaten einstellen, in der Hoffnung, dass diese noch in den Job hineinwachsen.
Jedoch: Nur jeder dritte betroffene Arbeitgeber hat nach eigenen Angaben seine Personalpolitik angepasst. Und die wenigsten trauen sich, beim Recruiting neue Wege zu gehen. Nur 11 Prozent setzen etwa auf Social Recruiting oder entwickeln eigene Karriere-Apps. Dabei bieten gerade soziale Netzwerke die Chance, die jungen Talente der gefragten Generation Y zu erreichen – sei es über klassische Stellenanzeigen oder Active Sourcing. Hier ist also noch deutlich Luft nach oben.
Eines sollte zumindest klar sein: Auf den perfekten Mitarbeiter einfach zu warten, kann sich heute kein Unternehmen mehr leisten. Die Zahlen zeigen, dass der Fachkräftemangel zwar für die meisten Unternehmen noch nicht existentiell bedrohlich, jedoch schon heute deutlich spürbar ist und in Zukunft eher ab- denn zunehmen wird. Als Arbeitgeber ist es daher wichtiger denn je, schon jetzt an die Mitarbeiter von Morgen zu denken und rechtzeitig gute Talente ins Unternehmen zu holen, sie zu fördern und zu binden.
Foto: flickr/Matt Brown